Sonntag, 17. Juli 2016

Türkei - der tiefe Riss



Der misslungene Putsch durch Teile des Militärs in der Türkei hat eine breite Welle der Solidarität der Bevölkerung mit ihrem Präsidenten hervorgerufen. Durch die Staatsspitze aufgerufen fanden sich zahlreiche Menschen zu Kundgebungen und Widerstandsakten auf den Straßen ein. Bürger stellten sich gegen rebellierende Soldaten und Panzer.
Für Erdogan gab es in der Nacht zum 15. Juli 2016 zwei wesentliche Signale. Einerseits kann er sich immer noch einer breiten Unterstützung in der Bevölkerung gewiss sein sowie seiner Fähigkeit, diese zu mobilisieren. Andererseits nahm er die Stimmen gegen sich sehr deutlich wahr und wird nun unter der Begründung des Putsches solche zum Schweigen bringen.



Der Rückhalt
Präsident Erdogan genießt trotz großer Kritik große Unterstützung. Er wurde mit einer deutlichen Mehrheit gewählt und kann sich offenbar auf die Wählerschaft verlassen. Der dilettantisch geplante Umsturzversuch hingegen konnte kaum weitere Menschen mobilisieren. Hierbei sehe ich unterschiedliche wesentliche Faktoren, die dafür verantwortlich sind.
Einerseits fehlte den Putschisten Deutlichkeit. Lange war (und ist es teilweise immer noch) unklar, was die konkreten Forderungen seien sollten. Es schien, als ob lediglich Phrasen verbreitet wurden. Der Schutz des Laizismus und der Verfassung scheinen hehre Ziele zu sein, es fehlte diesen aber an Tiefe in der Formulierung. Weiterhin war das nach der Machtübernahme durchzusetzende Programm nicht klar. Ein Schutz von Demokratie und Verfassung wurde somit den Bürgern nicht deutlich. Im Gegenteil, es wirkte sogar wie ein Angriff auf die Demokratie. Der Beschuss des Parlamentes sorgte zusätzlich diesen Eindruck. Selbst Oppositionelle stellten sich gegen die Putschisten.
Schwerwiegender jedoch dürfte wiegen, dass nur ein kleiner Teil des Militärs beziehungsweise der Führungsspitze eingeweiht war und die Streitkräfte in Folge dessen überwiegend loyal blieben.

Die Säuberung
Erdogan wirkt mitunter gelegentlich recht paranoid. Doch nur weil jemand paranoid ist, heißt das nicht, er würde nicht verfolgt. Der Putsch zeigt auf, dass der Präsident mit erheblichen Widerstand in Teilen der Bevölkerung und im Staatsdienst rechnen muss. Nun hat er Anlass, fast nach Belieben missliebige Personen regelrecht auszuschalten. Es dauerte keine zwei Tage, bis bereits zahlreiche Richter ihres Amtes enthoben wurden. Selbst in den höchsten Riegen mussten Amtsträger ihre Robe ausziehen.
Auch im Militär haben bereits einige Führungsspitzen ihren Beruf verloren. Eine weitere Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit wird zeitnah folgen. Anhänger des Predigers Gülen, der öffentlich für den Aufstand zur Verantwortung gezogen wird, dürfen mit Besuchen durch die Polizei rechnen.

Ein Sieg der Demokratie?
Wenn überhaupt kann man von einem Phyrrussieg der Demokratie sprechen. Das Volk stand zusammen, um seine demokratisch gewählte Regierung und das bestehende System zu schützen. Zahlreiche Solidaritätsbekundungen, unter anderem auch in Deutschland, sprechen von großer Zustimmung. Regelrechte Siegesfeiern nach der Zerschlagung des Putsches sind quer durch die Türkei zu beobachten. 
Ein Militärputsch kann us demokratischer Sicht immer nur die Ultima Ratio sein. Kein Umsturz kann reguläre Wahlen ersetzen. Dennoch hat die Türkei erhebliche Rückschritte in der Bewertung einer Demokratie gemacht. Zunehmend werden Freiheiten eingeschränkt, Oppositionelle zum Schweigen gebracht. Unliebige Presse wird unter staatliche Verwaltung gestellt und sogar Abgeordnete unter zwielichtiger Begründung strafrechtlich verfolgt. Auch wurden bereits seit Jahren wichtige Ämter nach und nach mit AKP-Getreuen besetzt.
Erdogan wird den gescheiterten Putsch nutzen, um den Umbau in der Türkei zu einem Präsidialsystem mit hoher Machtkonzentration weiter voranzutreiben.

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